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Info 305

Hospitation als Personalbeurteilung (Dissertation von Dr. Michaela Hahn)

15. Juli 2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

bis vor Kurzem wurde im Musikschullehrer-Forum noch heiß diskutiert, ob Hospitation und Leistungsfeststellung voneinander zu trennen sind. Nun ist es klar:

Laut der Dissertation von Frau Dr. Michaela Hahn ist Hospitation eine Mischform von Selbst- und Fremdbeurteilung.

In Anlehnung an einen Artikel des Schweizer Wirtschaftspädagogen Rolf Dubs* erstellt sie den folgenden Überblick über die Beurteilungsverfahren von Lehrkräften an Musikschulen:

+ Selbstbeurteilung

+ Mischformen:
   - Hospitationen, gegen-seitige Unterrichtsbesuche
   - Lehrerportfolio

+ Fremdbeurteilung:
   - Systematische, strukturierte Beurteilung von LeiterIn (Beurteilungsbogen)
   - Freie Berichte von SchülerInnen und Eltern
   - Systematische, strukturierte Beurteilung von SchülerInnen und Eltern (Fragebogen)
   - Peer Review über Unterrichtsmaterial


Hahn Michaela (2014): Musikschulentwicklung am Beispiel des dezentralen Musikschulsystems in Niederösterreich (Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien), S. 167

* Dubs Rolf (2009): Auswahl und Beurteilung von Lehrkräften. In: Buchen Herbert, Horster Leonhard, Rolff Hans-Günther (Hg.): Schulleitung und Schulentwicklung, Führen - Managen - Steuern, 3. Auflage, ISBN 978-3-8183-0545-1

Hier einige weitere Zitate:

1.2. Erkenntnisinteresse
Mein primäres Interesse war damals wie heute die Entwicklung von Musikschulen zu erfolgreichen bzw. "guten Musikschulen", ebenso wie die Weiterentwicklung von (bereits) "guten Musikschulen". (Hahn (2014), S. 10)

4. Musikschulpersonal
4.3. Felder des Personalmanagements
4.3.3. Personalbeurteilung
4.3.3.3. Beurteilungsverfahren (S. 167 ff)

SELBSTBEURTEILUNG

Selbstbeurteilung ist ein sehr gut geeigneter erster Schritt zur Einführung eines Gesamtkonzepts der Beurteilung, sollte jedoch längerfristig nicht das einzige Beurteilungskriterium bleiben, sondern durch andere Verfahren ergänzt werden. (Hahn (2014), S. 168)

HOSPITATIONEN

"Dieses Verfahren [Hospitationen als gegenseitige Unterrichtsbesuche] hat sich als sehr wirksam erwiesen, indem nachgewiesen werden konnte, dass Schulen, die es konsequent umsetzen, wesentliche Leistungsverbesserungen der Schülerinnen und Schüler erreichten." (Dubs Rolf "Auswahl und Beurteilung von Lehrkräften" in: Buchen, Horster, Rolff (Hg) (2009) Seite 14, zitiert nach: Hahn (2014), S. 168)

PORTFOLIO

Bei der Durchführung eines Lehrerportfolios liegt der Schwerpunkt, wie bei Hospitationen, im Entwicklungsbereich. [...] An Musikschulen wurde dies noch nicht umgesetzt, möglicherweise aufgrund des hohen Aufwands und des, aus Sicht von MusikerInnen, geringen Praxisbezugs. (Hahn (2014), S. 169)

FREMDBEURTEILUNG

Fremdbeurteilung kann durch SchülerInnen, Eltern, Musikschulleitungen und Schulaufsicht erfolgen. Zielsetzung der Fremdbeurteilung ist eine Außensicht auf Unterrichtsgestaltung und Lehrerverhalten, die in Kombination mit einer Selbstbeurteilung eine gute Grundlage für Feedbackgespräche und Beratungen sowie weitere Personalentwicklungsmaßnahmen bildet. (Hahn (2014), S. 169)

Die Fremdbeurteilung kann durch freie Berichte (schriftlich oder mündlich) oder durch eine systematische, strukturierte Beurteilung erfolgen. Die freien Berichte lassen durch spontane Hinweise in erster Linie Rückschlüsse auf Stärken und Schwächen der LehrerInnen zu. Die systematisierte Befragung hingegen führt zu einer ausführlicheren Gesamtbeurteilung, allerdings ist die Entwicklung und Erstellung eines entsprechenden Fragebogens sehr aufwändig, da der Nutzen dieses Beurteilungsverfahrens von der Qualität des Fragebogens abhängig ist. (S. 169, 170)

Das klassische Verfahren an der Schule durch Fremdbeurteilung ist der Unterrichtsbesuch durch Leitung oder Schulaufsicht, teilweise auch "Unterrichtsinspektion" genannt. Interessant ist dabei, dass eine Fremdbeurteilung durch Leitungen und Schulaufsicht wenig aussagekräftig ist, d.h. eine geringe Validität aufweist. (S. 169)

Die Fremdbeurteilung durch SchülerInnen und Eltern weist eine hohe Aussagekraft auf. Insbesondere bei Eltern sollte darauf geachtet werden, dass nur Kriterien abgefragt werden, die von Eltern auch beurteilt werden können. [...]
Mäßige Aussagekraft hat auch die von SchülerInnen angeführte Lehrerwahl bei den Anmeldungen an der Musikschule, und auch das nur, wenn mehrere Lehrkräfte dasselbe Instrument unterrichten. (S. 170)

Eine weitere Form der Fremdbeurteilung stellen Peer Review Verfahren dar. Eine Beurteilung durch Peers (FachkollegInnen) kann beispielsweise bei allen Vorführungen von Leistungsergebnissen der SchülerInnen (Konzerte, Prüfungen etc.) erfolgen. Diese Form wird von MusikschullehrerInnen leicht akzeptiert, [...] (S. 171)

Theoretisch besteht auch die Möglichkeit einer Beurteilung von Unterrichtsmaterialien durch FachkollegInnen, wobei es hier noch keine Erkenntnisse bezüglich der Validität gibt. [...] Bezüglich der Unterrichtsmaterialien erscheint ein informeller Austausch von Materialien zwischen Lehrkräften für die Unterrichtsentwicklung sinnvoller als eine Bewertung. (S. 171)

Als  P r a x i s b e i s p i e l  erstellt Frau Dr. Hahn einen "Kriterienkatalog für eine Beurteilung bei Übertrittsprüfungen von SchülerInnen". Zu den "beurteilten Kriterien" in der "Beurteilung der LehrerInnen" zählt sie dabei beispielsweise die "Eignung der Räumlichkeiten" oder die "Ausstattung des Raums" und das "Instrumentarium" (S. 174) - als hätten die Lehrkräfte Einfluss auf diese Rahmenbedingungen. In die "Beurteilung der Schülerleistungen hinsichtlich der pädagogisch-künstlerischen Arbeit der Lehrkraft" soll unter anderem einfließen, ob die "SchülerInnen rechtzeitig vor Ort" sind (S. 175) ... (Tabelle 16: Beurteilungskriterien bei Übertrittsprüfungen an Musikschulen, S. 174, 175)

Aus dieser Tabelle wird ersichtlich, dass jede Schülerbeurteilung zugleich immer auch eine Beurteilung der entsprechenden Lehrkraft darstellt. (Hahn (2014), S. 175)

Von "Fortbildung" (als Aspekt der Zielsetzung - etwa bei Hospitationen) ist in dem gesamten Kapitel nirgends die Rede!

4.3.3.4. Ergebnisse der Beurteilung

Eine Beurteilung von LehrerInnen stellt einen hohen Aufwand für die gesamte Organisation dar, demnach stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Ergebnisse der Beurteilung haben können. Hier kann zwischen formativer und summativer Evaluation unterschieden werden:

"Formative Evaluation heißt: Die Beurteilung wird als Feedback verwendet, um die Leistungen der Lehrkräfte zu verbessern, neue Erkenntnisse über die Unterrichtsführung und Schulgestaltung zu entwickeln sowie bestehende Praktiken zu verändern.
Summative Evaluation heißt: Die Beurteilung dient als Entscheidungsgrundlage für Maßnahmen, welche die einzelnen Lehrpersonen unmittelbar betreffen wie Leistungslohn, Versetzung oder Beförderung."

(Dubs Rolf "Auswahl und Beurteilung von Lehrkräften" in: Buchen, Horster, Rolff (Hg) (2009): Seite 17, zitiert nach: Hahn (2014), S. 176)

Da das Dienstrecht für MusikschullehrerInnen keine finanziellen Konsequenzen bei Beurteilungen vorsieht, kommt es in der Praxis - sofern Beurteilungen stattfinden - fast ausschließlich zu formativen Evaluationen. (Hahn (2014), S. 176)

...wenn dem "Musikschulpersonal" nicht gerade die einverständliche Lösung seines Dienstverhältnisses nahegelegt wird - wie in dem Beispiel aus der Praxis, von dem in der INFO 303 berichtet wurde...

...wobei sie sich im nächsten Kapitel (4.3.4. Arbeitsbedingungen, 4.3.4.4. Gehaltssysteme, S. 180 ff) durchaus auch mit "leistungsorientierter LehrerInnenentlohnung" oder "Möglichkeiten der finanziellen Belohnung von Lehrerteams bzw. ganzer Schulen" beschäftigt (S. 180 - 183).

Im 6. Kapitel über "Leitung und Steuerung" (6.1. Leitung von Musikschulen) erstellt Frau Dr. Hahn schließlich ein "Musikschulentwicklungsmodell" aus "Organisations-, Personal- und Unterrichtsmanagement" bzw. "Organisations-, Personal- und Unterrichtsentwicklung" (Hahn (2014): 6.1.3. Musikschulentwicklungsmodell, S. 242), sowie ein fünfjähriges "Evaluierungskonzept" (Hahn (2014): 6.1.4. Evaluierungskonzept, S. 243 ff):

Ein guter Einstieg für die Befragung ist das Thema Klima an der Musikschule, da es hier noch nicht um Beurteilungen von Leistungen geht. (S. 243)
Die Elternbefragung im zweiten Jahr bringt eine erste Beurteilung der Leistungen der Musikschule, [...]. Das Jahr bietet sich auch für die Einführung von Selbstbeurteilungen von LehrerInnen an.
Im dritten Jahr erfolgt dann die Bewertung durch die SchülerInnen. Nach diesem Verfahren sollte die Selbstevaluierung der LehrerInnen durch Fremdbeurteilungen ergänzt werden, d.h. gegenseitige Unterrichtsbesuche eingeführt werden.
[...] Dieser Prozess bzw. dessen Ergebnisse sollten auch als Thema bei den jährlichen Mitarbeitergesprächen aufgenommen werden.
Im vierten Jahr erfolgt eine Beurteilung der Musikschulleitung durch die LehrerInnen.
[...] Das Jahr bietet sich auch für die Einführung von Peer Review Maßnahmen an, [...]
Im fünften Jahr sollte sich die Musikschule ihrem Umfeld stellen. [...]
Mögliche Ergänzungen wären, sofern nicht ohnehin ständig in der Personalführung und -entwicklung umgesetzt, auch standardisierte Formen der Beurteilung der LehrerInnen durch die Musikschulleitung. Fremdbeurteilungen der Musikschulleitung durch Musikschulerhalter und/oder zuständige Institutionen sind ebenso möglich.
(Hahn (2014), S. 244)

Trotz Bemühen um eine ausführliche Wiedergabe der angesprochenen Abschnitte sind sämtliche Zitate naturgemäß aus dem Zusammenhang gerissen. Nicht zuletzt um die zitierten Themen in ihrem Kontext und die dahinter stehenden Gedanken, Konzepte und Modelle in ihrem vollen Ausmaß würdigen zu können, kann ich die Lektüre der Dissertation der Geschäftsführerin der Musikschulmanagement Niederösterreich GmbH nur empfehlen - und gleichzeitig hoffen, dass sie zu einer - einer wissenschaftlichen Arbeit angemessenen - kritischen Auseinandersetzung und nicht zu weiterem vorauseilenden Gehorsam führt, von dessen weiter Verbreitung die folgende Beobachtung zeugt:

Die Entwicklung in Niederösterreich zeigt, dass Normen oft schon Wirkung zeigen, ohne gesetzlich verankert zu sein. (Hahn (2014): Steuerung der Musikschulen in Niederösterreich 2000-2012, 8.3. Steuerungsanalyse, 8.3.1. Steuerung durch Normen und Ressourcen, S. 354)

IKM-Bibliothek:
https://www.mdw.ac.at/ikm/ikm_bibliothek


Ansonsten bleibt mir nur, allen KollegInnen eine erfolgreiche Personalentwicklung "into the job", "on the job", "near the job", "off the job", (hoffentlich nicht frühzeitig) "out of the job" (S. 190 ff), oder aber "along the job" zu wünschen - was (wie bei der Autorin) "bis zu einem Lehrauftrag auf [sic!] einer Musikuniversität führen" kann (Hahn (2014): 4.3.5. Personalentwicklung, 4.3.5.2. Maßnahmen, S. 199):

Kulturbetriebslehre IV:
Entwicklung und Steuerung von Musikschulen
http://www.mdw.ac.at/upload/MDWeb/ikm/downloads/Aushang.Hahn.1.pdf

...sowie ausreichende "persönliche Kompetenzen" im Sinne des im Kapitel über die "Personalbeurteilung" ausgearbeiteten "Kompetenzmodells":

Hohe Frustrationstoleranz ist hilfreich, nicht zuletzt auch aufgrund des ständigen Wandels des Schulumfelds und geänderter Rahmenbedingungen. (Hahn (2014): 4.3.3. Personalbeurteilung, 4.3.3.2. Kompetenzmodell, S. 165)

Mit freundlichen Grüßen,
Martina Glatz

P.S. Diskussion im Musikschullehrer-Forum:
http://414971.forumromanum.com/member/forum/forum.php?action=std_tindex&threadid=2&USER=user_414971

--

Infonetzwerk NÖ Musikschullehrer/innen
www.noe-musikschulinfo.net
noe-mslehrer@gmx.at

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