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Info 496

Kürzung des 50 min. Einzelunterrichts im Musikschulplan

3. Juni 2021

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wie viel Prozent 50minütigen Einzelunterricht habt ihr?
...und wie viel würdet ihr - und eure Schüler - gerne haben?
...bzw. wie viel wären pädagogisch sinnvoll oder eigentlich notwendig?

Wie viel 50minütiger Einzelunterricht pro Musikschule vom Land gefördert werden, steht im NÖ Musikschulplan.
Derzeit sind dort 60 % vorgesehen:

NÖ Musikschulplan § 2 Abs. 4 (derzeit)
"Die Höhe der Förderung verringert sich um jeweils
a) 8 %, wenn der Anteil der Ergänzungsfächer in Bezug auf die gesamte Unterrichtsstundenanzahl der Musikschule nicht mindestens 5 % und höchstens 15 % beträgt, und/oder
b) 10 %, wenn bei einer Musikschule der Anteil der Wochenstunden im Einzelunterricht zu 50 Minuten in Bezug auf die gesamte Unterrichtsstundenanzahl der Musikschule mehr als 60 % beträgt."
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrNO&Gesetzesnummer=20001005

Nun soll dieser Prozentsatz auf 45 % herabgesetzt werden - also auf weniger als die Hälfte!

Das ist zwar erst fürs Schuljahr 2022/23 geplant, wurde aber jetzt schon angekündigt - was dazu führt, dass sich betroffene Musikschulen aus Angst vor Kürzungen ihrer Förderungen womöglich schon im kommenden Schuljahr danach richten werden. Angesichts coronabedingter Abmeldungen und eingeschränkter Möglichkeiten für Werbemaßnahmen kommt die Ankündigung also zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Angeblich würde die Reduktion aktuell zwar nur 6 Musikschulen betreffen, der Prozentsatz 50minütigen Einzelunterrichts überhaupt noch über 45 % liegt. Aber selbst, wenn wenige Kollegen unmittelbar von der Gefahr betroffen sind, dadurch noch zusätzlich Stunden zu verlieren, schränkt die geplante Änderung die Chancen ein, coronabedingte Ausfälle wenigstens zu nützen, um zu einer etwas ausgewogeneren Verteilung von Unterrichtsdauern und -formen zurückzukommen als jene, unter der die meisten Musikschüler und Lehrer seit Jahren leiden. Gerade im Distance Learning hat sich deutlicher denn je gezeigt, dass Organisationsaufwand und Vorbereitungen pro Schüler und nicht pro Stunde anfallen. Um Schüler aus Gruppenstunden weiter zu betreuen - was etwa in Videokonferenzen nur einzeln möglich war - haben viele Kollegen ganze Unterrichtstage zusätzlich unterrichtet - in unbezahlten Überstunden versteht sich...

Im ersten Organisationsstatut für NÖ Musikschulen mit Öffentlichkeitsrecht aus dem Jahr 2008 hat das zuständige Bundesministerium im § 10 über die Schulzeit folgendes erlassen:
"Die Dauer einer Unterrichtsstunde beträgt 50 Minuten." (S. 10)
https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:eff1989e-0990-4050-af5a-8c23f787e2e5/erl_statut_noe_musikschule_16751.pdf

Als ich selbst als Kind eine NÖ Musikschule besucht habe, hatten alle Schüler 50 min. Einzelunterricht. Vor ungefähr 10 Jahren gab es immerhin noch über 40 Musikschulen, deren Anteil an 50minütigem Einzelunterricht über 45 % lag. Inzwischen sind 50 min. schon fast die Ausnahme. Anfänger bekommen in den meisten Musikschulen nur mehr halbe Einheiten oder sogar Gruppenunterricht. In immer mehr Musikschulen gibt es flexible Unterrichtseinheiten, was von vielen Kollegen zwar grundsätzlich als positiv empfunden wird, jedoch oft dazu führt, dass etwa die 40 min. nicht die 25minütigen Einheiten ersetzen, sondern sie am Ende keinen 50minütigen Einzelunterricht mehr haben.

In anderen Bundesländern sind ganze Einheiten nach wie vor Standard. Um das Öffentlichkeitsrecht zu erlangen, wurden Schüler sogar verpflichtet, wöchentlich zusätzliche Ergänzungsfächer zu besuchen, wie auch im ursprünglichen NÖ Organisationsstatut vorgesehen. - Für Niederösterreich hingegen wurde das Öffentlichkeitsrecht angepasst: In der aktuellen Fassung unseres Organisationsstatuts besteht der Unterricht nur mehr "grundsätzlich" in 50 min., kürzere Unterrichtseinheiten sollen sich nach "pädagogischen Interessen" richten.
"Die Dauer einer Unterrichtsstunde beträgt grundsätzlich 50 Minuten. Aus pädagogischen Interessen und mit  Zustimmung der/des Erziehungsberechtigten kann die Dauer einer Unterrichtsstunde auch 25, 30 oder 40 Minuten betragen." (§ 8 Unterrichtszeit, S. 8)
https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:4775366b-ef0b-4d1f-834b-31340fdf4c7d/org_statut_musikschulen_noe.pdf

Dabei sollen alle österreichischen Musikschulen denselben Lehrplan erfüllen (www.komu.at) - und alle Schüler sollen ungeachtet ihrer Unterrichtsform nach derselben Zeitspanne dieselben Übertrittsprüfungen machen wie ihre Schüler-Kollegen, denen der Lehrer seine volle Aufmerksamkeit oder doppelt so viel Zeit widmen kann. Aber die Entwicklung geht nicht nur auf Kosten der Schüler. Da viele Lehrer die Missstände ausgleichen und vor Veranstaltungen, Prüfungen oder Wettbewerben unbezahlte Überstunden machen, um die Qualität trotzdem zu gewährleisten, und da kürzere Einheiten oder Gruppen entsprechend aufwendiger und wesentlich anstrengender sind, geht es vor allem auch auf Kosten der Lehrer, ihrer Arbeitsbelastung und nicht selten ihrer Gesundheit.

Angesichts dessen, dass viele Gemeinden für 25 Minuten um so viel mehr als die Hälfte des Schulgeldes ganzer Einheiten verrechnen, dass dies nicht nur mit erhöhtem Verwaltungsaufwand zu begründen ist, und die Lehrer für die Doppel- oder Mehr-Belastung nicht - beziehungsweise bei Gruppen erst ab 9 Teilnehmern ein bisschen - mehr bezahlt bekommen, nehmen die Gemeinden umso mehr ein, je mehr Schüler sie einer Lehrkraft zuteilen. Es gibt Kollegen, die in 27 Stunden voller Lehrverpflichtung bis zu 70 Schüler unterrichten müssen - und ich spreche von Instrumentalunterricht und nicht von Unterrichtsfächern wie etwa Tanz oder elementarer Musikpädagogik, die von Haus aus ungleich mehr Aufwand bedeuten und den Gemeinden gleichzeitig ungleich mehr Geld einbringen.

Diese Ausbeutung muss eine Ende haben oder sich wenigstens bessern und nicht noch durch eine Verschlechterung der Förderregelungen einzementiert werden!
Die Reduktion des Prozentsatzes auf 45 % damit zu begründen, dass er sich 'überholt' habe, weil ohnehin fast nirgends mehr so viel 50minütiger Einzelunterricht angeboten werde, grenzt vor allem angesichts coronabedingter Engpässe an Zynismus.
Denn wenn die derzeit 60 % ohnehin fast nirgends mehr ausgeschöpft werden, fragt man sich, warum der Prozentsatz 'am Papier' überhaupt geändert werden muss? Geht es etwa darum, langfristig Stunden frei zu bekommen, um sie zu den neuen Kunstfächern und Kunstschulen umverteilen zu können?

Nützen wir das Jahr bis zur nächsten Novellierung des Musikschulplans nicht nur zur Vorbereitung, sondern zum Protest - nicht nur im Interesse unserer Arbeitsqualität, sondern vor allem auch im Interesse der Ausbildungsqualität und Chancengleichheit für unsere Schüler! Vor ca. 20 Jahren ist das damalige Musikschulmanagement in der Geschäftsbesorgung für das Land NÖ zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung angetreten. Will das Musik & Kunst Schulen Management Qualität weiterhin nachhaltig fördern, oder soll es in den Musikfächern der Musik & Kunst Schulen zukünftig auch um ein "Ausprobieren" gehen, "darum herauszufinden, welches künstlerische Schaffen mir liegt, wo ich mich als Persönlichkeit besonders gut ausdrücken kann"? (...wie von Frau Dr. Hahn im ORF NÖ Beitrag zu den Kunstfächern in Musikschulen formuliert...)
ORF NÖ "Künftig auch Kunstfächer in Musikschulen":
https://noe.orf.at/stories/3102653
(sh. auch vorige INFO 495)

Noch ist es nicht so weit! Heuer enthalten die geplanten Änderungen des Musikschulplans nur die 'übliche' jährliche Umverteilung geförderter Wochenstunden von einzelnen Musikschulen zu anderen (besonders gut nachvollziehbar in der Textgegenüberstellung - sh. ANHANG). Diese befinden sich noch bis morgen (4. Juni 2021) in der Bürgerbegutachtung:
https://www.noe.gv.at/noe/Kontakt-Landesverwaltung/NOe_Musikschulplan_Aenderung1.html

Die Gewerkschaft hatte beantragt, die geförderten Wochenstunden im nächsten Schuljahr beizubehalten, damit Stunden, die coronabedingt kurzfristig nicht oder nicht durchgehend angeboten werden konnten, nicht langfristig verloren gehen. Diesem Antrag wurde nicht nachgekommen, zumindest wurden jedoch 'nur' 90 von 180 'frei gewordenen' Stunden umverteilt.

Die Musikschulförderung besteht aus
+ der Basisförderung, die sich nach der Stundenanzahl der Musikschule richtet,
+ der Wochenstundenförderung, die sich nach der Einstufung der Musikschullehrer richtet,
+ und der Strukturförderung, die folgende Bereiche umfasst:
   - Instrumenten-Strukturförderung
   - Leiterakademieförderung
   - Leiterhearingförderung
   - Talenteförderung
   - Sondervertragsförderung, die demnächst ausläuft,
   - und neuerdings in den Musik & Kunst Schul Modellregionen aus:
         ? Erstausstattungsförderung für Kunstfächer
         ? Ergänzungsfachförderung für Kunstfächer
         ? Förderung regionaler Kunstprojekte
         (sh. auch vorige Info 495)
NÖ Musikschulgesetz 2000 § 13 Bemessung der Förderung
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Landesnormen/LNO40007252/LNO40007252.html

Insgesamt ist der Betrag der Musikschulförderung in den letzten Jahren angestiegen. Nachdem die geförderten Wochenstunden in Summe konstant und auch der so genannte Punktewert zuletzt gleich geblieben sind, liegt das wohl an der Einstufung und dabei hauptsächlich an der insgesamt vorrückenden Altersstruktur der Musikschullehrer.
"Landesregierung beschließt 35 Millionen Euro für Niederösterreichs Musikschulen"

https://www.noe.gv.at/noe/Landesregierung_beschliesst_35_Millionen_Euro_fuer_Nieder1.html

Übrigens: Wollt ihr wissen, was ihr 'wert' seid?
Mithilfe des Punktewerts (von € 9,68 auch 2021) und dem Punktesystem aus dem Musikschulgesetz könnt ihr nachrechnen, was eure Wochenstunden in eurer Einstufung eurer Musikschule an Fördergeldern vom Land einbringt:
https://www.mkmnoe.at/fileadmin/content/service_fuer_schulen/Punktef%C3%B6rderung_aktuell_2020.pdf

Mit der Bitte um Weiterleitung übers Infonetzwerk
und freundlichen Grüßen,

Martina Glatz
+43 664 6145370
martina.isabel.glatz@gmail.com

P.S.

Vielen Dank für die vielen bestärkenden aber auch für die kritische Rückmeldung zu meiner Stellungnahme zur Förderung der Kunstfächer und dem Anhang der vorigen Info!
"Stellen Sie sich vor, ..." (Anhang INFO 405):
https://drive.google.com/file/d/18Qa6QgKsETzLOWAHusEqF27ifqRVhCW8/view?usp=sharing

Da das Thema offenbar viele Kollegen beschäftigt, ein herzliche Einladung zur Diskussion im Musikschullehrer-Forum:
https://414971.forumromanum.com/member/forum/forum.php?action=index&USER=user_414971

--

Infonetzwerk NÖ Musikschullehrer/innen
www.noe-musikschulinfo.net
noe-mslehrer@gmx.at

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